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Waldbewohner
In der Nacht jedoch wachte Friedel auf, denn er meinte, etwas gehört zu haben. Und richtig. Unter ihm raschelte es im Laub und als er sich vorsichtig umdrehte, um besser sehen zu können, huschte ein Schatten unter ihm hindurch. Überrascht sagte er erst einmal gar nichts, sondern versuchte nur etwas zu erkennen. Da wieder - der Schatten, diesmal von der anderen Seite kommend. Da nahm er seinen ganzen Mut zusammen und flüsterte: „Wer ist denn da?“ Er lauschte, doch nichts bewegte sich. Besorgt blickte er zu seiner Freundin, der Zaunkönigs-tochter, doch die hatte ihren Kopf unter den Flügeln vergraben und schlief fest. „Hallo?“, fragte Friedel leise noch einmal. „Aha, Ihr seid also doch wach“, kam von unten aus dem Dunkel die Antwort. Und eine zweite Stimme wisperte: „Jaja, habe ich dir doch gesagt.“ Und eine winzige Maus trat in das blasse Mondlicht, das durch die Blätter schien. „Gute Nacht“, sagte sie höflich und machte eine majestätische Verbeugung. Aber da sie eine kleine Waldmaus war, konnte sie es nicht lange an einer Stelle aushalten und - husch - war sie schon zwei Sprünge weitergelaufen. Der Laubfrosch hatte sie kaum genau sehen können, da war sie schon wieder aus seinem Blickwinkel verschwunden und - husch - einen Moment später war sie wieder da. Und da sprang auch eine zweite Maus hinzu und mit wippenden Schnurhaaren wisperten beide: „Gute Nacht!“ Friedel staunte über soviel Unruhe und grüßte höflich zurück, aber da waren beide Mäuse schon wieder zwei Sprung weiter. Er hüfte nun behände von seinem Blatt und landete auf dem Waldboden, genau an der Stelle, wo zuvor die Mäuse gestanden hatten. „Wo seid Ihr denn jetzt“, fragte er und blickte sich um. Da sah er beide hinter dem Strauch hervorlugen und musste lächeln beim Anblick der bebenden Schnurhaare, die im Mondschein glitzerten. „Gute Nacht, sagt man das bei Euch?“, fragte er. „Aber natürlich, was denn sonst? Guten Tag vielleicht? Da gehen wir ja zu Bett!“, lachten die beiden Mäuse. Friedel räusperte sich und sagte: „Na gut, dann also gute Nacht“, und machte seinerseits eine Verbeugung. Und als er sich wieder aufrichtete, standen die beiden Mäuse so nah vor ihm, dass er vor Schreck fast umgefallen wäre. „Millie“, sagte die eine Maus „Millie Waldboden“ und blickte sehr stolz. „Und das hier ist Herr Mattie Baumhöhle. Und Ihr seid der Laubfroschprinz, der Frau Uwaark sucht.“ „Aber ja“, rief der Frosch überrascht aus. „Ihr kennt mich?“ „Sicher, sicher“, flüsterten die Mäuse und umrundeten ihn dabei, dass ihm ganz schwindlig wurde. „Ihr geht ja nicht gerade sehr leise durch unseren Wald und außerdem... .“ „... außerdem“, fiel Mattie ihr ins Wort, „haben wir eine große Familie, da spricht es sich schnell herum, wenn etwas in unserem Wald vor sich geht.“ „Und schließlich ist es ja etwas, wenn Fremde durch unseren Wald laufen“, entgegnete Millie und warf dabei Mattie einen finsteren Blick zu, weil er ihr ins Wort gefallen war. „Wartet, bitte, einen Moment“, keuchte Friedel, „bleibt bitte einen Moment stehen, es ist mir viel zu anstrengend, wenn Ihr so um mich herumlauft. Bitte setzt Euch doch zu mir.“ „Nun gut“, murrte Mattie, „wenn Ihr unbedingt wollt, aber kommt weg aus dem Mondlicht, mein Herr. Gefahr lauert überall bei Nacht im Wald. Denkt nur, hier gibt es Eulen, denkt nur!“, und er machte ein schauriges Gesicht dabei. „Eulen?“, fragte Friedel. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Im Alten Wald, bei der großen Stadt, wo ich herkomme, da gibt es keine Eulen.“ „Schön und gut“, drängelte Mattie. „Aber können wir jetzt bitte aus dem Mondlicht gehen?“ Sie versteckten sich unter dem großen Blatt, auf dem zuvor der Laubfrosch gesessen hatte. „Dann waren das neulich nachts also Eulen?“, stellte der Frosch fest. „Sie flogen wie lautlose Schatten über uns hinweg. Es war furchterregend.“ „Ihr habt schon die Eulen gesehen?“ staunte Millie ungläubig und erstarrte einen Moment lang. „Da müsst Ihr aber ungeheures Glück gehabt haben, dass die Eule Euch nicht geschnappt hat.“ „Erst vorige Nacht hat die große Eule nämlich einen Großonkel von uns erwischt“, erklärte Mattie. „Aber jetzt ist nicht die Zeit für lange Erzählungen!“ Millie fragte: „Eure Freundin hat wohl einen gesunden Schlaf?“ „Ja, ja, den hat sie wohl“, antwortete Friedel und gähnte verstohlen. „Nun, dann soll sie schlafen, aber wenn Ihr sie morgen noch vor Dämmerung weckt, dann zeigen wir Euch den Weg zu Frau Uwaark und begleiten Euch ein Stück.“ Bevor Friedel etwas darauf sagen konnte, sprangen die beiden Mäuse schon wieder auf. „Also dann, bis morgen früh, wir müssen jetzt weiter“, wisperten sie zum Abschied. Und kaum hatten sie das gesagt, sah er von ihnen nur noch die Schwanzspitzen, als sie davoneilten. Kopfschüttelnd wunderte er sich. „Ein rastloses Volk, diese Waldmäuse“, und er dachte fast schon, dass es nur ein Traum gewesen war und kletterte wieder auf sein Blatt, wo er sogleich einschlief. Nur wenige Stunden hatte er geschlafen, als er fühlte, wie an seinem Blatt herumgezerrt wurde. „Nun wacht aber auf, wie kann man nur die Nacht verschlafen“, wisperten die Mäuse und Mattie zerrte an dem Blatt, bis der Laubfrosch endlich wach war. Gähnend wollte er sie begrüßen, als Mattie plötzlich das Blatt losließ und er daraufhin fast hinunterfiel. „Jaja!“, wurde er mürrisch. „Ich bin ja jetzt wach, aber bitte habt etwas mehr Geduld mit uns.“ „Geduld, ja, ja, haben wir ja, doch wir haben noch einen gutes Stück Weg vor uns, bevor die Sonne herauskommt. Und nun weckt Eure Freundin, die schläft ja noch immer!“ Friedel weckte Zinka, die ihm erstaunt zuhörte, als er erzählte, sie müssten augenblicklich aufbrechen, da die Mäuse schon ungeduldig seien. Sie schüttelte ihre Federn und plusterte sich einmal auf, dann begrüßte sie formvollendet die beiden Mäuse: „Guten Morgen, sehr freundlich von Euch, dass Ihr uns helfen wollt.“ „Jaja“, sagten die Mäuse und trippelten dabei ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, „Freundlichkeiten können wir unterwegs austauschen, aber lasst uns jetzt erst einmal losgehen.“ „Ohne Frühstück?“, maulte die Zaunkönigstochter. „Und ohne Morgengesang?“ „Ach herrje“, stotterte Mattie erschrocken. „Ihr werdet doch jetzt wohl nicht laut singen wollen?“ „Nein! Bloß das nicht!“, ergänzte Millie. „Beeilt Euch lieber. Es ist noch dunkel und es werden noch ein paar Stunden bis Dämmerungsbeginn vergehen, da werdet Ihr doch wohl erst einmal ohne Euren Gesang und ohne Euer Frühstück auskommen.“ „Warum denn die Eile?“, fragte Friedel. „Weil wir nicht sicher sind hier im Wald. Ihr habt doch selbst schon die Eule gesehen“, stellten die Mäuse fest „Nein“, widersprach der Frosch. „Gesehen haben wir die Eulen nicht, nur gespürt.“ „Jaja, schon gut. Aber trotzdem müssen wir weiter, denn wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, unterbrachen die Mäuse nun jede weitere Unterhaltung. Da widersprachen die beiden Wanderer den Mäusen nicht mehr und bemühten sich nur noch, mit ihnen Schritt zu halten. Das war gar nicht so einfach, vor allem für Friedel, der sich aber nach Kräften bemühte und in Windeseile durch den Wald hüpfte. Die vier Reisegefährten waren eine Weile im Wald unterwegs, als Mattie plötzlich innehielt, einen Moment lang mit bebenden Schnurhaaren lauschte und dann aufgeregt rief: „Schnell, versteckt Euch, sie kommt, sie kommt!“ Fragend sahen sich Zaunkönigin und Frosch an. „Wer?“ „Was?“ „Die Eule kommt, schnell, versteckt Euch“, rief Millie entsetzt aus. Sofort lief sie in Richtung eines großen Baumstamms und die anderen folgten ihr, doch da kam schon der große dunkle Schatten angesaust. Schreiend vor Angst rannten sie um ihr Leben, schlugen Haken und suchten Deckung. Alle vier stoben auseinander, doch die Eule hatte sich ihr Ziel schon ausgesucht. Zinka flatterte verwirrt umher und wusste nicht wohin. Den Moment ihres Zögerns nutzte die Eule und versuchte, den flatternden Vogel zu packen. Schon schlossen sich die Krallen um sie, als mit einem gewaltigen Satz der Frosch seiner Freundin zu Hilfe eilte und hinaufsprang. Mit Mühe erwischte er die Beine der hilflos gefangenen Zaunkönigstochter und hielt sich mit aller Kraft fest. Die Eule, völlig überrascht von dem plötzlichen Gewicht ihrer Beute, ließ los und beide fielen hinunter, purzelten übereinander und rollten über den Waldboden. Jetzt wurde die Eule ärgerlich, hatte sie doch die sicher geglaubte Beute verloren. Sie machte kehrt und griff erneut an. Diesmal war Zinka besser vorgewarnt und sie schlug Haken in der Luft, während die Eule die Kurven nicht so schnell nehmen konnte, wie die kleine, wendige Zaunkönigin. Friedel und die Mäuse riefen derweil die kleine Prinzessin: „Hierher, komm hierher!“ riefen sie hinter dem Baumstamm hervor und sofort drehte Zinka um und flog in die angegebene Richtung. Doch schon wieder war die Eule heran. Die beiden Mäuse hatten derweil mit ganzer Kraft einen Zweig zurückgebogen und ließen ihn genau in dem Moment los, als die Eule den kleinen Vogel packen wollte. Jäh schnellte der Zweig zurück und traf die Eule mitten ins Gesicht, dass sie aufschrie und abdrehte. Zinka nutzte die Gelegenheit blitzschnell und schlüpfte zusammen mit den anderen in ein kleines Loch unter dem Baumstamm. Dort erst schöpfte sie Atem. „Gott sei Dank bist du ihr entwischt“, riefen die Mäuse und vergaßen ganz, dass man eine Prinzessin eigentlich formvollendeter ansprechen müsste. „Ohne Euch hätte ich das nie geschafft“, stammelte die Zaunkönigstochter gerührt über den mutigen Einsatz ihrer Freunde. Friedel winkte ab. „Das hätte jeder getan“, sagte er, „aber sieh doch nur, du bist ja verletzt.“ Erst jetzt bemerkte Zinka, dass ihr Flügel blutig war, wo die Kralle der Eule sie gepackt hatte. Sie wurde ganz blass und setzte sich erst einmal hin. „Oh je, das hätte schief gehen können“, murmelte sie. Millie und Mattie beobachteten unterdessen, wie die große Eule zurückkehrte, denn sie war ganz und gar nicht erfreut darüber, dass ihre Beute entwischt war. Mehrere Male überflog sie den Platz, doch in dem Versteck konnte sie die stillhaltenden Vier nicht mehr ausmachen. Aber die Vier konnten aus ihrem Versteck hinaus die gelb leuchtenden Augen der großen Eule sehen und bebend vor Angst verhielten sie in völliger Starre, bis die Eule endlich abdrehte und davonflog. Aufatmend erklärte Mattie ihnen, dass die Gefahr nun wohl vorbei sei: „Wir können aufatmen. Gut, dass Eulen so ungeduldig sind und nicht lange hinter einer einmal entwischten Beute herjagen. Lieber suchen sie sich andere, leichte Beute.“ „Dieser Tyrann“, schimpfte Millie. „Einer unseres Volkes muss wieder sterben in dieser Nacht.“ Bebend vor Zorn rief sie weiter aus: „So geht das in dem Wald seit alters her aber eines Tages, so schwören sich die Mäuse werden auch die Tyrannen von Eulen, die so vielen unserer Verwandten das Leben gekostet haben, selber umkommen und dann wird der Wald endlich frei sein von Furcht und Tod!“ Sie schüttelte dabei ihre Fäuste und sah wirklich furchterregend aus. Dann erzählte sie: „Die Eulen können selbst bei völliger Finsternis sehen, und dann sind wir ihnen schutzlos ausgeliefert. Aber in solch mondhellen Nächten wie dieser haben wir eine Chance zu entkommen, da wir die Gegner dann sehen können.“ „Ja, Eulen jagen lautlos“, ergänzte Mattie „das habt Ihr ja gemerkt. Aber man sieht einen großen Schatten im Mondlicht.“ „Aber nur, wenn die Nacht hell genug ist, sonst erwischt der Gegner uns ohne Vorwarnung“, stimmte Millie zu. Und Mattie erzählte: „Ich habe es ja schon gesagt. Erst vor zwei Nächten ist einer unserer Großonkel ein Opfer der Eule geworden. Es war schrecklich, sie kam aus dem Dunkel angeschossen, Großonkel hatte keine Chance und Millie und ihre Verwandten mussten das mit ansehen.“ „Schrecklich“, sagte Friedel betroffen und schüttelte den Kopf. „Ich wusste gar nicht, wie gefährlich diese Eulen sind.“ Sie machten sich vorsichtig wieder auf den Weg und wanderten, so schnell und so lange sie konnten, als sie endlich dichteres Unterholz erreichten und die Mäuse eine Pause einräumten. Außer Atem setzten sich Frosch und Vogel hin und japsten nach Luft, die Mäuse aber gruben an einem Baum und holten ein gutes Nachtmahl aus ihrem Vorratsraum, der sich dort befand. Mit vollem Mund erzählten sie endlich auch, warum sie es so eilig hatten, von dem Nachtplatz der beiden Reisegefährten fortzukommen. „Wir fanden Euch am Rande des Dunklen Waldes. Dort in der Nähe wohnt eine Eulenfamilie, und der ganze Wald ringsherum ist so licht, dass es fast keine Deckung gibt. Ihr seid vom direkten Weg zu Frau Uwaark abgekommen und viel zu weit nach Norden und gleichzeitig immer in der Nähe des Dunklen Waldes gewandert. Unsere Mäusefamilie benutzt in diesem Waldstück sonst nur geheime Stollen, doch Ihr wärt ja wohl kaum mit durch unsere Stollen gelaufen, oder?“, erklärte Millie. Und Mattie ergänzte: „Und da wir Euch ja helfen wollten, mussten wir schon zur Eile anmahnen. Ihr habt ja gemerkt wie groß die Gefahr ist.“ „Warum habt Ihr mir das denn nicht schon gestern Abend gesagt, dann hätten wir ja gleich von dort fortgehen können“, bemerkte Friedel. „Viel zu gefährlich“, erklärte Mattie, „erst gegen Morgen besteht Hoffnung, den Wald lebend zu durchstreifen, denn die Eulen, haben ihr nächtliches Mahl dann schon hinter sich und passen nicht mehr so stark auf.“ „Und außerdem“, ergänzte Millie, „wart Ihr beide ja so müde.“ „Aber woher wisst Ihr denn nun von uns und wohin wir wollen?“, fragte Zinka. „Ja, ja“, lachten die beiden Mäuse, die jetzt schon viel ruhiger waren, und Millie erklärte: „Wie wir ja schon sagten, unsere Familie ist groß und wir haben zahlreiche Verwandte auch in Ihrem Reich, verehrte Prinzessin. Und Frau Uwaark ist eine besondere Frau, die jeder hier im Wald gern hat. Unsere Urahnen kannten sie schon und man erzählt sich, dass einst ein besonders tapferer Nachkomme von Frau Uwaark im Kampf um Leben und Tod einige Familienmitglieder der Waldboden-Mäuse-sippe vor der großen Nachteule gerettet hat. Seither besuchen wir Frau Uwaark regelmäßig und sie freut sich immer über unsere Besuche, denn ihre Kinder und Enkelkinder wohnen ja alle so weit weg.“ „Ja, sie können eben nicht so schnell laufen wie wir Mäuse“, ergänzte Mattie. „Jedenfalls begleiten wir Euch nun auf sicheren Wegen durch den Wald zu Frau Uwaark, denn von meiner Großmutter Amelie habe ich ihr noch einen schönen Gruß auszurichten. Sie war die letzte, die von ein paar Monaten bei Frau Uwaark war und seither sind ja schon drei Generationen vergangen“, sagte Millie. „Drei Generationen? In ein paar Monaten?“, staunten der Frosch und die Zaunkönigstochter. „Ihr müsst wirklich eine große Familie haben.“ „Ja, ja, so ist das bei uns. Und wenn wir zurück sind, sind wir auch schon Großeltern.“ Dabei sahen sich die beiden Mäuse mit einem für Mäuse ungeheuer langen Blick an und seufzten sogar leise. Friedel schmunzelte und fragte: „Wie weit müssen wir denn nun noch gehen?“ „Drei Nächte sind es mindestens noch, aber wenn wir erst einmal den Teil des Waldes erreicht haben, in dem wir gute Deckung haben, kommen wir sicher schnell voran“, erklärte Millie. „Aber erst einmal müssen wir aus diesem Waldstück heraus, bevor die Eule wiederkommt“, drängte Mattie. Sie machten sich wieder auf den Weg, doch mit jeder halben Stunde wuchs die Angst vor der Eule, denn das schreckliche Erlebnis von vorhin saß ihnen tief in den Knochen. Und wirklich – kaum zwei Stunden waren sie unterwegs, da spürten sie wieder die sich nähernde Gefahr. Die Eule war wieder unterwegs, um neue Beute zu suchen. So schnell es ging suchten sich die Gefährten einen Unterschlupf, in dem sie sich verstecken konnten. „Oh Gott, oh Gott!“, wisperte Mattie. „Hoffentlich ist der Schatten unseres Versteckes dunkel genug, dass wir uns hier verbergen können.“ „Ausgerechnet diese Vollmond-nacht ist so hell“, flüsterte Millie. „Wir können zwar die Eule sehen, aber sie kann ja auch uns entdecken! Hoffentlich geht das gut“, und sie kauerte sich tief in den dunklen Schatten. „Ach du meine Güte!“, entfuhr es Friedel und als sich die anderen entsetzt zu ihm umdrehten sahen sie, wie er erst blass, dann ganz dunkelgrün vor Aufregung wurde. „Vollmond ist heute! Daran habe ich ja gar nicht gedacht.“ „Pssst! Nicht so laut, mein Herr! Was ist mit dem Vollmond, dass Ihr so laut herumrufen müsst“, fragten beide Mäuse zugleich flüsternd. „Wartet einen Moment“, überlegte der Frosch. „Etwa auch noch der Julmond, der Vollmond im Juli?“, fragte er nochmals nach. „Ja sicher“, antwortete Mattie und fügte patzig hinzu: „Aber wenn Ihr nicht leise seid, Herr von Grünstein, dann wird es wohl der letzte Vollmond unseres Lebens werden!“ „Gemach, gemach“, beschwichtigte Friedel und wirkte auf einmal ganz fröhlich, was die anderen gar nicht verstehen konnten, denn noch immer zog die Eule wieder und wieder über ihre Köpfe hinweg und sie mussten sich tief in die dunklen Schatten drücken. „Kommt zu mir“, sagte Friedel, „und reicht mir die Hände. Vertraut mir, gleich wird alles gut sein. Aber haltet Euch fest an den Händen.“ Die anderen sahen sich fragend an und kamen zu ihm. Sie fassten sich alle vier an den Händen und die Mäuse und der Vogel beobachteten abwechselnd voller Neugier den Frosch und voller Angst den nächtlichen Himmel über sich. Friedel aber schloss die Augen und begann sich zu konzentrieren. Dann begann er ganz leise zu singen. Und während er so sang, geschah etwas: zunächst kaum merklich, doch dann immer deutlicher wurde es, während sie dem Gesang des Frosches lauschten. So lieblich war die Melodie, dass sie sie gebannt hielt und sie alles um sich herum wie durch einen schützenden Nebel wahrnahmen: alle Angst war wie weggeblasen! Die Luft war frisch und kühl, aber die drückende Last der nächtlichen Bedrohung war fort. Friedlich lag die Welt um sie herum und ohne eine Spur von Angst sahen die vier Freunde die Eule über sich kreisen. Näher und näher kam sie, doch sie war nicht mehr der grausame Feind, der ihnen nach dem Leben trachtete, sondern ein lautlos fliegender, nächtlicher Schatten, ein majestätischer Vogel, dessen gelbe Augen nunmehr sanft schauten. Die große Eule landete dicht neben den Freunden und noch immer sang der Frosch sein leises Lied. Dann endete er und öffnete die Augen. Die Freunde sahen ihn an und glaubten kaum was sie sahen. Der Frosch ging direkt auf die Eule zu und erhob seine Stimme: „Seid gegrüßt, Vogel der Nacht!“, sprach er sie an. Und die Eule erwiderte: „Gute Nacht, mein Herr! Habt Ihr auch die eigenartige Stimme singen gehört?“ „Aber sicher, denn ich war es, der gesungen hat.“ „Ein wunderschönes Lied“, antwortete die Eule und legte den Kopf schief. „Ich fühlte mich so glücklich, als ich die Melodie hörte, da wollte ich sofort wissen, woher sie kam. Was tut ein Sänger wie Ihr in diesem Wald? Nie zuvor hörte ich Eure Stimme!“ „Ich bin ja auch nur auf der Durchreise. Darf ich Euch fragen wer Ihr seid?“, fragte Friedel und sah die Eule mit festem Blick an. Sie drehte ihren Kopf zur anderen Seite: „Ich bin ...“, setze sie an und brach dann wieder ab. „Ich weiß nicht“, stellte sie schließlich überrascht fest und ihre gelben Augen leuchteten. Sie blinzelte mit jedem Auge abwechselnd und sah sehr verwirrt aus. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wer ich bin.“ Verlegen plusterte sie ihr Federkleid auf und schüttelte sich. Friedel beantwortete seine Frage schließlich an ihrer Stelle: „Wenn ich Euch helfen darf: Ihr seid eine Eule, ein Vogel der Nacht, ein lautloser Jäger und gefährlicher Räuber dazu. Und Ihr fresst Frösche wie mich gerne auf!“ Entsetzt hörten die drei Gefährten im Hintergrund die Worte des Frosches. Schon rechneten sie damit, dass die Eule sich ihrer selbst wieder bewusst und den Frosch mit einem Bissen verschlingen würde, doch umso erstaunter waren sie, als sie die Eule antworten hörten: „Ich, ein Räuber? Sie verspeisen? Aber das ist doch völlig unmöglich.“ Die Eule schüttelte nochmals ihr Federkleid auf und schaute dem Froschprinzen verstört in die Augen. „Doch, doch, glaubt es mir“, entgegnete Friedel und wieder stockte den Freunden der Atem. Wie konnte er sich nur so in Gefahr begeben? Doch der Frosch sprach weiter. „Wundert Euch nicht, edler Nachtvogel, nur heute seid Ihr ungefährlich für mich und meine Gefährten“, die er mit einer Geste zu sich winkte. Sie folgten der Aufforderung etwas zurück-haltend, doch kamen sie dann aus ihrem Versteck. „Oh“, sagte die Eule: „Gute Nacht. Sind das Eure Gefährten?“ „Ja, das sind sie. Eine Zaunkönigin und zwei Waldmäuse. Ihr habt schon zahlreiche Verwandte der Mäuse des nachts erbeutet und verschlungen.“ „Oh, das tut mir leid. Ich kann mich nicht erinnern“, bedauernd hob sie die Flügel und blinzelte wieder abwechselnd mit ihren Augen, erst das rechte, dann das linke und nochmal das ganze. Den Mäusen verschlug es den Atem, so nah vor ihrem größten Feind zu stehen. Dennoch verspürten sie keine Todesangst und auch keinen wirklichen Groll, wussten sie doch irgendwie, dass die Eule tötete, um selbst zu überleben. Aber sprechen wollten sie nicht mit ihr. „Die Macht des Mondes scheint sehr groß zu sein, denn ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht“, sagte die Eule und verrenkte dabei ihren Kopf, dass es fast schon aussah, als hätte sie ihn einmal ganz herumgedreht. „Ja“, bestätigte Friedel. „Der Sommermond ist mächtig.“ „Ich kann nicht glauben“, sagte die Eule, „dass ich ein Jäger sein soll. Ich will nie wieder jagen und töten.“ „Das könnt Ihr nicht versprechen“, erklärte der Frosch. „Wieso nicht“, fragte die Eule. „Weil Ihr nach Eurer Natur leben müsst, und Ihr seid nun einmal ein Jäger der Nacht“, erläuterte Friedel. „Aber wenn Ihr etwas tun wollt, dann zieht mit Eurer Familie um, tiefer hinein in den Dunklen Wald und verlasst diesen Waldabschnitt hier.“ Mit diesen Worten begann er wieder leise zu singen, diesmal eine eindringliche, fordernde Melodie, deren Worte an die Eule gerichtet waren: `Ziehe fort, fort, fort von hier über die Hügel und treffe die Wahl. Bleib´ künftig in deinem neuen Revier und gib Frieden für dieses Tal.´ Friedel verstummte und die Eule saß einen Moment mit geschlossenen Augen. Dann sprach der Froschprinz weiter: „Heute Nacht ist die Nacht des Juli-Vollmondes. Nur deshalb können wir uns gefahrlos unterhalten. Aber die Nacht vergeht schnell und bald schon wird der Morgen kommen. Darum müssen wir weitergehen.“ „Schade“, antwortete die Eule, die noch immer verwirrt war und nicht glauben konnte, dass sie ein gefährlicher Jäger der Nacht sein sollte. Friedel sagte: „Nun entschuldigt mich, meine Gefährten und ich müssen weiter. Auf Wiedersehen!“ „Schade, dass Ihr schon fort müsst. So lebt denn wohl!“, antwortete die Eule. Friedel drehte sich um und ging ohne Eile los. Zu seinen Freunden sagte er nur: „Kommt, wir wollen nun gehen“, und sie taten ohne Widerspruch, was er ihnen sagte. Die Eule aber saß noch immer auf ihrem Platz und sah aus, als ob sie nachdachte. Nach einem Stück des Weges fragte Zinka: „Was ist da eben passiert?“ „Das war nur die Magie des Julmondes!“ antwortete Friedel. Dann blieb er stehen und erklärte die Geschehnisse: „Die Königsfami-lie der Laubfrösche von den Goldwasserteichen unter dem Holunderbusch umgibt ein kleines Geheimnis, müsst Ihr wissen. Eine Magie, die uralt und fast vergessen ist. In unserer Heimat brauchten wir sie nicht, denn wir lebten in Harmonie mit unseren Nachbarn. Doch zum Glück ist die Kraft noch immer in mir: wenn der volle Mond am nächtlichen Himmel steht, dann erwächst in unseren Stimmen eine große Macht, die Macht des Vergessens, und die ist im Juli am größten. Die Melodie bringt friedliche Ruhe und wer sie hört, wird sacht von ihr umfangen. Dann wird er sanftmütig und fällt bald darauf in einen tiefen Schlaf, aus dem er ausgeruht am Morgen erwacht. Doch dann wird er sich nicht erinnern können, was in der Nacht zuvor geschah. Seht, die Eule wird nicht wissen, was geschehen ist in dieser Nacht. Sie wird sich auch nicht an mich oder Euch erinnern. Wenn der Morgen kommt, wird sie uns vergessen haben und die Begegnung im Wald, doch sie wird sich an die Worte des Liedes erinnern und fortfliegen. Dann habt Ihr, liebe Mäuse, vorerst etwas mehr Frieden in Eurem Wald.“ Staunend hörten die anderen, was Friedel ihnen sagte und er kam ihnen wie ein großer Gelehrter und Magier vor. „Aber wir, wir haben die Melodie doch auch gehört. Und wohl hat sie uns leise umschlungen und uns die Angst genommen, doch werden wir auch in Schlaf fallen?“, fragte Zinka. „Nein, denn Ihr wart in meinem Bannkreis, als wir uns an den Händen hielten. Und das zweite Lied galt nur der Eule“, erklärte Friedel. „Leider verfüge ich nur in Vollmondnächten und am stärksten im Sommer über diese leise Magie, darum sollten wir nicht zögern, schnell diesen Wald zu verlassen.“ So marschierten sie weiter durch die Nacht, der Laubfrosch gelassen und ruhig, zufrieden mit seiner Kunst, und Zinka voller Bewunderung für ihren Freund. Die Mäuse aber liefen keck und mutig wie nie zuvor umher, ohne Angst vor der großen Eule. So schlugen sie ein schnelles Tempo an und kamen gut voran. Als die Morgendämmerung einsetzte erreichten sie schließlich den Waldabschnitt mit dichterem Unterholz. Dort würden sie endlich mehr Deckung haben, denn auch wenn die Eule fortfliegen würde, der Wald barg genug andere gefährliche Räuber, die ihnen auf der Wanderung das Leben schwer machen konnten. Erschöpft ließen sie sich unter einen Strauch fallen. „Ich kann keinen Schritt weitergehen“, stöhnte Friedel. „Ich auch nicht“, ergänzte Mattie. „Doch, du Faulpelz“, knuffte Millie ihn in die Seite. „Komm mit, wir müssen noch das Frühstück aus der Vorratskammer holen!“ Brummend erhob sich Mattie, aber da es etwas zu essen geben sollte, mobilisierte er seine letzten Kräfte. „Na gut! Aber dann bewege ich mich erst einmal nicht mehr!“, brummte er. Beim Frühstück kehrten ihre Lebenskräfte langsam zurück. „Noch immer drei Nächte?“, fragte Friedel. „Nun, nicht ganz, weil wir heute so weit gekommen sind“, beruhigte Millie die anderen. „Und wir werden viel besser vorankommen in diesem Abschnitt des Waldes.“ „Können wir nicht bei Tag weitergehen?“, fragte Zinka, die gar nicht davon begeistert war, nachts zu fliegen. „Nun, das wird nicht gehen, denn tagsüber schlafen wir doch“, antwortete die Mäuse und dachten gar nicht darüber nach, dass es auch andere Leute gibt, die nachts schlafen. Das fanden die Mäuse äußerst ungewöhnlich. „Dann sollten wir wenigsten die Dämmerung nutzen“, schlug Friedel vor und freute sich darauf, denn das war seine liebste Zeit des Tages. Und so einigten sie sich darauf, dass sie den frühen Morgen und die Abendstunden für die Wanderung nutzten wollen. Da bald die Sonne aufgehen wollte und sie sich nach dem guten Frühstück der Mäuse gestärkt fühlten, machten sie sich noch einmal auf den Weg, denn ein kleines Stück wollten sie noch schaffen. Sie kamen gut voran, dann schliefen die Mäuse, während Froschprinz und Zaunkönigsprinzessin aufpassten und nach einer zweiten Wanderetappe am Abend schliefen Frosch und Zaun-königin, während die Mäuse die Wache übernahmen. Zum Glück waren die Mäuse sehr gut ausgestattet und hatten überall reichlich gefüllte Vorratskammern angelegt, so dass sie so satt waren, wie lange nicht mehr. So erreichten sie bald den sumpfig-feuchten Wald in dem Frau Uwaark lebte.

Leseprobe aus: Friedel von Grünsteins Wanderung - ISBN 3-8330-1042-2